Obere Meeresmolasse der Schweiz

Obere Meeresmolasse der Schweiz

von Jürg Jost, Zofingen

Vor rund 20 Millionen Jahren wurde das schweizerische Molassebecken von Westen allmählich vom Meer überflutet. Die Ursache, die zum marinen Vorstoss führte, ist unklar. Meist werden eine zunehmende Absenkung des Molassebeckens, ein verminderter Sedimentzufluss aus dem Alpenraum oder eine Kombination von erhöhter Subsidenz, verbunden mit einem globalen Meeresspiegelanstieg, als Grund genannt.
In der Schweiz ist das Molassebecken zur Zeit der Oberen Meeresmolasse (OMM) geprägt durch mächtige Schuttfächer von Flusssystemen (insbesondere Napf und Hörnli). Diese verfrachteten gewaltige Mengen an erodiertem Material aus den sich hebenden Alpen in den Paratethys-Meeresarm. Die Schuttfächer rückten im Laufe der Jahrmillionen zunehmend ins Molassemeer vor.

Abb. 1: Paläogeographie des Schweizer Molassebeckens zur Zeit der St.-Gallen-Formation (OMM)


Im Zentrum dieser Schuttfächer fand während der ganzen OMM keine marine Überflutung statt. Somit wurden in geringen Distanzen zueinander sowohl fluvioterrestrische als auch marine Sedimente abgelagert. Dies erschwert die lithologische Korrelation, ermöglicht dafür, durch die Verknüpfung verschiedener biostratigraphischer Daten (insbesondere mit der Kleinsäugerstratigraphie) auch die zeitliche Einordnung der marinen Ablagerungen vorzunehmen.
Die OMM der Schweiz wird in zwei Formationen unterteilt: die Luzern-Formation (ca. Eggenburgium) sowie die St.-Gallen-Formation (ca. Ottnangium). Am Alpenrand sind diese Formationen durch einen Regressionshorizont getrennt, marine Fazies war dort temporär nicht vorhanden. Im nördlichen Beckenteil ist dies nicht der Fall, es ist aber trotzdem auch hier möglich, mit Kleinsäugerzähnen, Analysen der Selachierfaunen sowie divergierenden lithologischen Abfolgen die Formationen abzugrenzen (Jost et al. 2016).
Die Luzern-Formation (ca. 20-18,5 Ma) ist durch flachmarine Ablagerungen geprägt, die Wassertiefe dürfte gegen deren Ende maximal 30 m bis 50 m betragen haben. Während im nördlichen Beckenteil durchwegs Verhältnisse mit stabiler Salinität gegeben waren, sind am Alpenrand auch terrestrische und limnische Abfolgen in die Meeresablagerungen eingeschoben.
Mit Beginn der St.-Gallen-Formation (ca. 18,5-17 Ma) erfolgte die markanteste Transgression während der ganzen OMM. Selachierfaunen belegen eine deutliche Vertiefung des Meeres mit stenohalinen Verhältnissen, es ist lokal von Meerestiefen um die 100 m auszugehen. Wiederum sind deutliche Unterschiede im Ablagerungsmilieu zwischen dem nördlichen Beckenteil, den Buchten zwischen den Schuttfächern und dem Alpenrand gegeben. Gegen Ende der St.-Gallen-Formation wurde das Molassebecken zunehmend verfüllt, das Meer wich sukzessive zurück.

Abb. 2: Ehemalige und aktuelle litho- und biostratigraphische Gliederung der schweizerischen OMM. Die Spalte MN-Einheit (abgeleitet von „Mammals Neogen“) zeigt die Unterteilung, die durch das lokale Erstauftreten oder Aussterben von Kleinsäugergattungen oder -arten eine relative Altersbestimmung erlaubt.

Selachierfaunen
Die Selachierfaunen sind in der schweizerischen OMM auch innerhalb der Formationen aufgrund lokal stark differierender Ablagerungsräume verschiedenartig zusammengesetzt. Innerhalb der Regionen ist jedoch zumeist eine kontinuierliche Entwicklung im Auftreten und der Häufigkeit der Selachierarten erkennbar. Exemplarisch dafür sind die Verhältnisse im Schweizer Mittelland, wo die meisten der auf dieser Website abgebildeten Selachierzähne aus der Schweiz herstammen. Aus diesem Grund wird in der Beschreibung der Formationen ausschliesslich auf die Verhältnisse in diesem Teil des Molassebeckens näher eingegangen. Im südlichen Teil am Alpenrand ist das Ablagerungsmilieu anders.

Luzern-Formation
Für die ältesten Anteile der Luzern-Formation (ca. 20 Ma) ist eine artenarme Fauna, die von Stechrochen, Sandtigerhaien und wenigen Requiemhaiarten dominiert wird, typisch. Im mittleren und jüngeren Teil der Luzern-Formation etablierte sich danach zunehmend eine artenreichere Hai- und Rochenfauna. Auffällig ist die Seltenheit squaliformer Haie, aber auch beispielsweise von Mitsukurina lineata, Selachier, die in der nachfolgenden St.-Gallen-Formation sehr häufig werden. Viele der von Agassiz (1842) und Leriche (1927) abgebildeten Haizähne stammen aus dem jüngsten Teil der Luzern-Formation. Dieser ist zumeist als Muschelsandstein ausgebildet und wurde früher in zahlreichen Steinbrüchen abgebaut. Diese Muschelsandsteine sind zwar lokal als lithostratigraphische Member unterschiedlich bezeichnet, aber etwa gleichen Alters (ca. 18,5 Ma).

St.-Gallen-Formation
Die Basis der St.-Gallen-Formation wird durch Grobsandstein gebildet. Dieser ist meist sehr reich an Hai- und Rochenzähnen, die Artenzahl ist deutlich diverser als in der Luzern-Formation. Neben Selachierarten, die bereits dort vorkommen, sind jetzt squaliforme Haie (insbesondere Centrophorus und Isistius) sowie beispielsweise Mitsukurina lineata sehr häufig. Im Hangenden des Grobsandsteines folgt feinlaminierter Sandstein. Diese Ablagerungen enthalten Selachierfaunen, die sehr divers sind und auf die grössten Wassertiefen während der ganzen OMM hindeuten. Gegen Ende der St.-Gallen-Formation verarmt die Hai- und Rochenfauna wieder zunehmend.

Sediment
Sedimente der schweizerischen OMM mit Selachierzähnen bestehen mehrheitlich, im Mittelland fast ausschliesslich, aus mehr oder weniger verfestigtem Sandstein und Nagelfluh. Feinsandsteine und Mergel, welche teilweise Hai- und Rochenzähne führen, wurden nur in den Buchten zwischen den Schuttfächern abgelagert. Dies wirkt sich limitierend auf die Fraktion der Schlämmungen aus. In der Regel ist es sinnlos, kleinere Korngrössen als 0,6 mm zu sieben. Der Sedimentrückstand würde zu gross, zudem ist die Häufigkeit fossiler Selachierzähne im Sediment zu gering. Somit bleibt für den mittleren Teil der St.-Gallen-Formation unklar, ob einige squaliforme Haiarten nicht nachweisbar oder absent sind.

Arbeitsmethode
In den letzten Jahrzehnten sind von J. Jost und B. Lüdi ca. 40 bis 50 Tonnen OMM-Material bearbeitet worden. Zehntausende von Hai- und Rochenzähnen aus Hunderten von Fundstellen, die sich in stratigraphische Profile einbetten lassen, resultierten aus diesen Grabungen. Die Analyse der Hai- und Rochenfaunen ermöglicht unterdessen, in der Schweiz regional über die paläoökologisch verschiedenartig zusammengesetzten Faunen auch stratigraphische Einordnungen in der OMM vorzunehmen.

Quellen
Abb. 1: Allen, P.A., Mange-Rajetzky, M., Matter, A. & Homewood, P. (1985): Dynamic palaeogeography of the open Burdigalian seaway, Swiss Molasse basin. – Eclogae geol. Helv. 78/2, 351–381

Abb. 2: Büchi, U.P. (1957): Zur Gliederung des Burdigalien im Kanton Aargau. – Bulletin der Vereinigung schweizerischer Petroleum-Geologen und -Ingenieure, 23(65), 33–41
Jost, J., Kempf, O. & Kälin, D. (2016): Stratigraphy and palaeoecology of the Upper Marine Molasse (OMM) of the central Swiss Plateau. – Swiss Journal of Geosciences 109(2), 149–169. doi:10.1007/s00015-016-0223-6