Allgemeines

Carcharodon carcharias, der „Weiße Hai“, CC licence by Terry Goss

Perfekte Anpassung

Haie verbreiten Furcht und Faszination zugleich. Viele Menschen sehen in ihnen eiskalte Tötungsmaschinen oder gar Menschenfresser. Entsprechend gestaltetes Filmmaterial (z.B. „Der Weiße Hai“) oder tendenziös gefärbte und sensationsgierig aufbereitete Berichterstattungen über tödliche Haiangriffe bestärken diesen Eindruck. Die Wirklichkeit sieht anders aus.  Über 50% aller Haie sind kleiner als 1 Meter. In dieser Gruppe haben viele einen geradezu zwergenhaften Wuchs und erreichen nur eine maximale Körperlänge von 20 bis 30 cm. Haie, die für den Menschen wirklich „gefährlich“ sein können, sind im Allgemeinen größer als 4 m und in dieser Gruppe erreichen nur 4% diese Körperlänge. Die Möglichkeit vom Blitz erschlagen zu werden, ist daher um ein Vielfaches höher, als beim Baden im Meer einer Haiattacke zum Opfer zu fallen.

CC Lizenz: Chris_huh (Translation by Achim Raschka (talk))

Haie sind hervorragend ans Meer angepasste Raubfische, die am Ende der ozeanischen Nahrungskette stehen. Sie bilden daher ein wichtiges Glied in der Meeresökologie.

Paratriakis decheni, © J. Pollerspöck, www.shark-references.com Holotypus, Geologisch-Paläontologisches Institut der Universität Münster, Nr. 8491 + 8492

Schon seit mehr als 160 Millionen Jahren bewohnen die modernen Haie die Meere. Sie haben sich in dieser Zeit hervorragend an ihre Umwelt angepasst und alle nur denkbaren ökologischen Nischen der Weltmeere besetzt: Sie leben im flachen Wasser lichtdurchfluteter Küstenbereiche ebenso wie in der Weite des offenen Meeres; sie sind in den warmen Gewässern der tropischen Korallenriffe ebenso zu Hause, wie im kalten Wasser der Polarzonen und in den dunkelsten Regionen der Tiefsee. Meist gibt die Körperform des Hais schon einen Hinweis auf seinen bevorzugten Lebensraum. Ausdauernde und schnelle Schwimmer in den freien Regionen der Weltmeere sind stromlinienförmig gebaut und haben eine kräftige Schwanzflosse, die für einen schnellen und dynamischen Antrieb sorgt. Dagegen besitzen die bodenbewohnenden Haie und Rochen meist einen abgeplatteten, extrem flachen Körper mit flügelförmig vergrößerten Flossen. Der Räuber möchte in diesem Milieu unsichtbar bleiben, möglichst mit dem Untergrund verschmelzen, um dann blitzschnell zuschlagen zu können. Tiefseeformen haben meist eine dunkelbraune bis schwarze Hautfärbung. Ihre übergroßen, smaragdgrünen Augen befähigt sie, die letzten, spärlichen Lichtreste einzufangen. Einige sind auch mit Leuchtorganen ausgestattet. Damit lassen sich in der ewigen Dunkelheit der Tiefen Beutetiere anlocken und überwältigen. Im Flachwasserbereich tragen die Haie oft eine kräftige Färbung, die mit auffallender Musterung kombiniert sein kann.

Auch bei den Zähnen ist ein Zusammenhang zwischen Form und Funktion und der Lebens – und Ernährungsweise der Haie herzustellen. Dabei unterscheidet man vier verschiedene Gebisstypen:

Odontaspis ferox (RISSO, 1810), off Baja California: Cabo San Lucas Market, coll. Summer/1975, coll.by J.D. Hirsch, American Museum of Natural History (AMNH) collection nr. I-10180SD Images: © Ross Robertson, Smithsonian Tropical Research Institute, Panama

a) Das Fanggebiss ist ein „todsicheres“ Werkzeug, um glatte Beute fest und sicher zu packen. Es ist ein Gebisstyp mit hohen, schlanken, nadelspitzen und nach innen gekrümmten Zahnkronen, die oft noch von kleinen Nebenspitzen zusätzlich flankiert werden. Weil sich die überwiegende Zahl aller Haie von Fischen ernähren, ist dieser Zahntyp weit verbreitet und kommt in schwach variierter Form sehr häufig vor. Viele Makrelenhaiartige  (Carcharias,  Odontaspis, Mitsukurina, usw.) besitzen diese Gebissform.

Carcharodon carcharias, off Hobart, Australia, coll. 06/1982, coll.by fishermen and P. Lewis, American Museum of Natural History (AMNH) collection nr. I-53095 Images: © Ross Robertson, Smithsonian Tropical Research Institute, Panama

b) Das Schneidegebiss ist durch spitz-dreieckige, breite, abgeflachte, sehr kräftige Zahnkronen gekennzeichnet, deren seitliche Kronenränder, wie bei einem scharfen Küchenmesser, noch zusätzlich wellenschliffartig gezähnelt sind. Da der Zahnabstand ziemlich groß ist, eignet sich die Anordnung der Zähne bei diesem Gebisstyp hervorragend zum Durchstoßen harter Beute. Nach dem Zupacken schneidet der Hai durch heftig schüttelnde, seitliche Kopfbewegungen große Beutestücke aus seinem Opfer heraus. Als Beispiel für diesen Zahntyp muss natürlich der gefürchtete Weiße Hai (Carcharodon) genannt werden.

Squalus acanthias LINNAEUS, 1758, Ventura, California, Florida, collection: Jaws International, Gordon Hubbell, Florida, Images: © Ross Robertson, Smithsonian Tropical Research Institute, Panama

Auch die Dornhaie besitzen ein Schneidegebiss. Bei dieser Haigruppe stehen die Einzelzähne jedoch ganz eng beieinander, oder sie überlappen sich sogar, und ihre Zahnspitzen sind extrem stark zum Gaumen hin geneigt. So entsteht über die ganze Kieferlänge eine fast horizontal verlaufende, zusammenhängende Schneide. Einige Arten benutzen diesen Gebisstyp auf ganz perfektionierte Weise. Von Isistius und Dalatias ist bekannt, dass sie sich mit ihren wulstigen Lippen an ihren Beutetieren festsaugen und dann durch drehende Körperbewegungen kreisrunde Fleischstücke aus ihnen herausschneiden.

CC licence by Haplochromis

c) Im Knackgebiss vieler Rochen und einiger bodenbewohnender Haien sind die Zähne breit und niedrig und ihre Zahnspitzen fast ganz abgeflacht oder doch sehr stark reduziert. Sie stehen in mehreren eng geschlossenen Reihen dicht beieinander und bilden so ein zusammenhängendes „Pflaster“. Dieser Gebisstyp eignet sich hervorragen zum Quetschen und Zerknacken hartschaliger Beutetiere.

d) Eine weitere Spezialisierung ist das Reusengebiss. Bei den Riesenhaien (Cetorhinus) sind die Mundzähne fast vollständig zurückgebildet und nahezu funktionslos. Diese bis zu 12 m langen Tiere ernähren sich ausschließlich von Plankton. Sie filtern ihre winzigen Beutetiere aus dem Atemwasser heraus. Dazu dient ihnen ein eng stehendes Gitterwerk aus feinsten Reusenstäbchen, die aus den Hautzähnchen der Mundschleimhaut hervorgegangen sind.

Ständiger Zahnersatz

Das Gebiss der Haie ist Ausgangspunkt für Studien, die sich mit den grundsätzlichen Fragen der Gebissentwicklung in der langen Evolutionsgeschichte des Lebens beschäftigen.

Schematischer Querschnitt durch einen Haikiefer. (frei umgezeichnet nach REIFF, 1978) Haie besitzen ein sog. „Revolvergebiss“. In einer Schleimhautfalte auf der Kieferinnenseite werden ständig neue Zähne produziert (Ersatzzähne, unten Reihe 4 – 8), zum Kieferrand gezogen und dort aufgerichtet (funktionierende Zähne, obere drei Reihen).

Bei allen Knorpelfischen haben sich die Rachenzähne aus in den Mundraum eingewanderten Hautzähnen entwickelt. In einer Hautfalte produzieren Haie und Rochen auf der Kieferinnenseite einen fortwährenden, unerschöpflichen Zahnersatz, der ein ganzes Hai- und Rochenleben lang andauert. Nur durch Gewebebänder festgehalten, werden die Ersatzzähne, die aufgereiht in dichter Folge eng beieinander liegen, in einem kontinuierlichen Prozess zum oberen Kieferrand hinaufbewegt, dort umgeklappt und aufgerichtet. Auf diese Weise können gleichzeitig eine oder auch mehrere Zahnserien des Gebisses in Funktion sein. Hat der funktionierende Zahn „ausgedient“, dann verliert er seine Verbindung mit dem Halteapparat und wird nach außen abgestoßen. Dieser ständige Zahnaustausch ist ein reiner Wachstumsprozess. Er erfolgt unabhängig davon, ob die Zähne abgenutzt oder beschädigt sind, oder ob beim Gebrauch ein einzelner Zahn aus dem Verbund herausgerissen wurde.

Die Zahnaustauschrate variiert unter den einzelnen Haiarten sehr stark. Sie ist abhängig vom Alter der Tiere, dem Nahrungsangebot und von jahreszeitlichen Rhythmen. Genannt  werden Zeiträume, die zwischen einer Woche und einem Monat liegen. In einem Rechenspiel kommt  man dann leicht auf die jährliche Produktion von über 1250 Zähnen bei nur einem Tier. Die relative Fundhäufigkeit von Haifischzähnen wird damit natürlich nicht erklärt, denn sie ist hauptsächlich eine Folge von natürlichen Anreicherungsvorgängen bei der Sedimentation.

Bestimmung fossiler Haizähne

Schon vor rund 65 Millionen Jahren, gegen Ende der Kreidezeit, war die Haievolution in ihren grundlegenden Phasen abgeschlossen. Man findet daher zu den meisten fossilen Haien, in den erdgeschichtlich nachfolgenden Perioden, nah verwandte rezente Formen. Für die Bestimmung fossiler Haifischzähne ist dies von größter Bedeutung, denn nur die gründlichen zahnmorphologischen Untersuchungen an lebenden Formen erlauben Rückschlüsse auf das Fossilmaterial. Formveränderungen der Zähne während des Wachstums der Haie, Formabweichungen zwischen den  Geschlechtern, zwischen Ober- und Unterkiefer und innerhalb der Zahnserie können damit geklärt werden. (Daher wird in dieser Arbeit, wo immer es möglich ist, neben einer Abbildung des rezent verwandten Hais auch seine Zahnreihe zur Veranschaulichung vorgestellt.)

Die taxonomische Auswertung fossiler Haifischzähne ist sehr schwierig, weil sie – etwa im Gegensatz zu den Säugerzähnen – nur sehr wenige konstante Merkmale tragen. Vorraussetzung für eine genaue Bestimmung ist eine äußerst differenzierte Betrachtungsweise, die auch noch die feinsten Formmerkmale erfasst. Zu solchen Studien benötigt man besonders gut erhaltene Zähne und ein möglichst umfangreiches Vergleichsmaterial.

Will sich der „Hobby-Paläontologe“ auf diesem Gebiet versuchen, so ist eine gründliche Einarbeitung in die spezielle Fachliteratur unumgänglich. Die Wissenschaft hat zur Beschreibung der Zahnformen ihre eigene Fachsprache entwickelt. Die dabei verwendeten Begriffe sind aber nicht normiert. Die in dieser Arbeit verwendeten Benennungen der morphologischen Details der Einzelzähne erfolgt in Anlehnung an Cappetta, 2012, Ledoux, 1970 und Pfeil, 1983.